„Wer nichts für andere tut, tut nichts für sich“

Zitate und ihre Gültigkeit

Hier haben wir ein Goethe Zitat:

„Wer nichts für andere tut, tut nichts für sich“. 

Schööööön…und wie richtig… Ironie off.

Vorneweg sei gesagt, unterschiedliche Leser*innen werden das Zitat unterschiedlich interpretieren. Mir ist dieses Zitat begegnet als Instagram Post zum Thema Empathie. Was man an sich schon hinterfragen könnte. Geht es nicht vielleicht eher um Gutes tun oder eben auch nicht? Wie dem auch sei, hier sollte es um das Thema Empathie gehen. Mag, zumindest auf den ersten, oberflächlichen Blick, auch Sinn ergeben. Der Post war gekennzeichnet als Goethe Zitat, ohne weitere Quellangabe. Soweit so gut. Ich bin nicht hier, um mich als Moralapostel oder Besserwisser aufzuspielen. Mir geht es um etwas anderes. Nämlich drei Dinge, die meiner Meinung nach zur Selbstreflexion beitragen.

Drei Fragen, die sich mir stellen

  1. Inwieweit ist es sinnvoll, Zitate/ Sätze, die aus dem Zusammenhang gerissen sind, für das zu nehmen, was einem gerade passt?
  2. Sich selbst zu fragen, mache ich das auch?
  3. Zu hinterfragen, ob man Zitate verändern oder umdrehen kann und sie dann immer noch Sinn ergeben.

Aus dem Zusammenhang gerissen

Schauen wir uns also einmal Frage eins an: Inwieweit ist es sinnvoll, Zitate/Sätze, die aus dem Zusammenhang gerissen sind, für das zu nehmen, was einem gerade passt? Der Zusammenhang in meinem Beispiel ist der folgende: Recherchiert man nach der Quelle des Zitats, dann findet man: Clavigo. Ein Trauerspiel in fünf Akten von Johann Wolfgang von Goethe. Genauer Clavigo Akt IV, Calviogos Wohnung, Carlos.

Googelt man dies, findet man den gesamten Akt hier. Der komplette Satz, der von Carlos gesprochen wird, heißt:

„Du weißt, ich frage nicht ängstlich nach andrer Beifall, doch das ist ewig wahr: wer nichts für andere tut, tut nichts für sich; und wenn die Menschen dich nicht bewundern oder beneiden, bist du auch nicht glücklich.“

Interessant. Zusätzlich interessant ist die Antwort, die Clavigo darauf gibt:

“ Die Welt urteilt nach dem Scheine. O! wer Mariens Herz besitzt, ist zu beneiden!“

Wenn ich den Satz „Wer nichts für andere tut, tut nichts für sich“ in diesem Zusammenhang lese, ergibt er für mich eine völlig andere Aussage als losgelöst aus dem Kontext.

Worum geht es?

Für mich hört sich der Satz „Wer nichts für andere tut, tut nichts für sich“ jetzt eher danach an, als würde es nicht um Selbstlosigkeit und Empathie gehen. Sondern eher darum, etwas für andere zu tun, um dann vor diesen zu glänzen. Passend dazu vielleicht auch das, was Calvigo davor sagt:

„Die Leute, immer die Leute.“

Dementsprechend hört sich der Satz für mich eher an nach: Wenn man etwas von anderen Menschen möchte, dann muss man auch was für diese tun. Dies kann eine berechtigte Aussage seien. Sie hat nur wenig mit Empathie oder Selbstlosigkeit im eigentlichen Sinne zu tun. Eher mit „quid pro quo“ oder „wie Du mir, so ich Dir“. Und schätzungsweise kann man den Satz noch ganz anders interpretieren, wenn man ihn im Zusammenhang mit dem kompletten Stück sieht. Wichtig aber ist zu sehen, es kommt immer auf die Perspektive an und auf den großen Zusammenhang.

Sinnhaftigkeit oder was Du Dir nimmst

Kann es also sinnvoll sein, Zitate für das eigene Thema zu nehmen, auch wenn sie im eigentlichen Kontext, eine andere Aussage verfolgen? Die Antwort darauf zu finden, fällt mir nicht leicht. Einerseits denke ich mir, es ist fragwürdig, den Satz losgelöst vom eigentlichen Text zu nutzen. Im Grunde genommen ist er „falsch“ zitiert. In meinem Beispiel wird Goethe unterstellt, er habe diesen Satz gesagt/geschrieben und damit Selbstlosigkeit oder Empathie gemeint. Das hat er, zumindest meiner Meinung nach, aber nicht.

Andererseits ist es so nicht mit allen Zitaten und schlauen Sprüchen? Werden sie nicht als Quelle von Weisheit, Wichtig- und Richtigkeit hergenommen, wie es gerade passt? Was mich zu Frage zwei führt: Mache ich das auch?

Fass Dir an die eigene Nase

Die Antwort lautet in meinem Fall: Das mache ich auch. Wie schnell bin ich dabei, etwas zu zitieren, weil es gerade so schön passt. Wie wenig mache ich mir Gedanken darüber, in welchem Zusammenhang wurde der Satz gesagt/geschrieben. Manchmal ist man sich ja nicht mal sicher, wer ihn denn jetzt gesagt hat oder woher die Weisheit stammt. Aber kommt eben gut an, mal eben zu sagen, ich bin da wie Winston Churchill, der sagte:

 „Ich traue keiner Statistik, die ich nicht selbst gefälscht habe“

Dumm nur, dass der Satz gar nicht von Churchill ist. Wenn man recherchiert, dann taucht der Satz in der ersten Person Singular erstmals 1967 als Bonmot eines Bischofs namens Otto Dibelius auf. Ein äußerst interessanter und lesenswerter Blog hierzu ist der Blog von Gerald Krieghofer, der sich mit Falschzitaten beschäftigt. Auch lesenswert ist der Artikel der Welt zum Thema „Fake Zitate – die Seuche des Internets„.

Aber komme ich zurück zum an die eigene Nase fassen. Ich zitiere auch gerne, weil ich Zitate mag. Daran ist auch nichts Verwerfliches, ich sollte vielleicht in Zukunft nur meinen Blick etwas schärfen, was, wen und in welchem Zusammenhang ich da zitiere. Was mich zu meiner dritten Frage bringt: Darf man Zitate, verändern oder umdrehen? Und sie so zu eigenen Sprüchen machen. Verlieren sie dadurch Sinn oder Bedeutung?

Falsch zitiert und trotzdem sinnvoll

Grundsätzlich bin ich der Meinung, alles, was zum Denken anregt, ist erst mal gut. Das heißt allerdings auch, dass man denken muss und nicht nur passiv konsumieren! Ich sage sehr gerne zu meinen Studierenden: „Das Schönste für mich ist, wenn ich Euch denken sehe.“ Das heißt Dinge hinterfragen, sich eine eigene Meinung bilden. Eigene Gedanken mit eigenen Werten abgleichen. 

Und wenn Zitate dazu anregen können, warum nicht? Wie gesagt, sie sollten möglichst das widerspiegeln, worum es thematisch tatsächlich geht. 

Und darf man dann Zitate zu eigenen Sprüchen verändern und beispielsweise umdrehen? Warum nicht? Ich mache das jetzt auch mal und rege Dich hoffentlich zum Nachdenken an. Ist es nicht auch richtig und wichtig zu sagen:

„Wer nichts für sich tut, tut nichts für andere.“

Darüber schreib ich dann beim nächsten Mal.

Bleib vergnügt!

Sandra
Sandra Schmidt

Sandra Schmidt

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